Beitrag des Seminarleiters: Situation Moral und Begriffsklärung Vorbemerkung: Mein Beitrag dient zur Orientierung. Eine einzige systematische Darstellung ist nicht möglich. Ich wähle den Begriff "Moral", weil er umfassend ist. Er betrifft Philosophie und viele Einzelwissenschaften und natürlich die gesellschaftliche Praxis. Etymologie: lateinisch mos, moris, pl. mores ("Ich werd dich Mores lehren".): Wille, Gewohnheit, Sitte, Brauch. Hatte nicht den "moralischen" Klang unseres Wortgebrauchs. Unsere hist. Situation: radikal historisches Denken: alles ist geworden. Gott als Garant einer statischen Ordnung und unwandelbarer Gesetze ist nicht mehr akzeptabel. Ob es Gott gibt oder nicht, wir sind dran, wir sind gefragt. Formel dafür ist rationale Argumentation, die Nachdenken über Fühlen und Gefühl einschließt. 1. Moral a) historisch-gesellschaftlich – soziologisch-beschreibend: Moral als das Insgesamt von geltenden/üblichen Verhaltensvorschriften bzw. -erwartungen: Unterschiedliche Verbindlichkeitsgrade und Sanktionen. – historisch-beschreibend: "Sittengeschichte", Alltagsleben, privates/öffentliches Leben bei z. B. Römern oder in der Renaissance, im 18. oder 19. Jh. Zusammenhang, Interdependenz von Moral und Geschichte. – soziologisch-gesellschaftskritisch: Zusammenhang von Moral und Macht/Herrschaft. – historisch-kritisch: Geschichte als Klassenkampf, Moral ist die herrschende Moral der herrschenden Klasse, Zusammenhang von Ökonomie/Politik und Moral. b) anthropologisch Praxis: als Herzstück menschlichen Lebens (anderer Ausgangspunkt: Bedürfnisse, Leidenschaften, Wünsche); in Praxis ist enthalten, was praktische, emotionale und moralische Intelligenz genannt wird. Praxis/Tätigkeit kann Gelingen oder nicht, deshalb so handeln oder so, am besten so! Daher Wertung und Bewährung, Institutionalisierung. Kl. Szene: Wurf (jmd. einen Ball zuwerfen und aufschnappen lassen): ästh. Dimension, ethische, interaktiv-soziale. Vgl. "vortrefflich!" Situation in Rahmenbedingungen. Letzter Grund: Leibhaftigkeit, aufrechte Haltung, auf eigenen Füßen stehen, alle Worte haben zugleich moralischen Klang, weil eigene Leistung, die in bezug auf Gelingen bewertet wird (vgl. auch: standhalten, widerstehen, Haltung bewahren, sich hängen- gehen-, fallen lassen, sich wieder aufraffen, sich orientieren, konfrontieren, am Boden sein). c) philosophisch Ethik: Theorien zur Begründung von Moral (als das sittlich Gute, das Gesollte, Verbotene, Erlaubte). 1. Gesetzesethik oder normative oder axiologische/axionomische Ethik: Aufstellung, Begründung (?) von Geboten und Verboten, Axiomen, letztverbindlichen Normen, Imperativen, Pflichten, Maximen. "Du sollst (nicht)..." . Judentum, Christentum, Islam. Kant. – Kategorische Imperative. Bsp. siehe Extrablatt. 2. Wertethik: oder wertargumentative Ethik. Einigung auf Werte als Bewertungskriterien zum moralischen Urteilen und Handeln. Vgl. Grundwerte. Bewertung und Ermittlung des Verbindlichen, jeder für sich und in Gruppe gemeinsame Regeln aufstellen. Z. B. Gerechtigkeit als höchster Bewertungswert. Stufen der moralischen Entwicklung als Stufen des moralischen Urteilens. Vgl. Regenbogen etc., Kohlberg. Unterscheide: ideale Werte, reale Werte (Güter), ideelle Werte (Güter), herrschende Werte. Vgl. meinen Text. 3. Tugendethik (Strebensethik): das gute Leben, mit Hilfe von Tugenden/Haltungen nach dem guten Leben streben. Selbstanspruch, aus dem Fundus menschheitlicher Tradition des Lebenkönnens. 4. analytische Ethik: Begriffsklärung, Definitionen, Analyse der Geltungsansprüche, (insoweit betreibe ich gerade auch analytische Ethik). Rationale Argumentationsregeln bestimmen; wenn, dann-Argumentationen. Ratio als Wert. Gegenteil: irrational, Subjektivismus, Emotivismus, Relativismus (der Beliebigkeit, historisch sowieso). Unterscheidungen: deontologische Theorien, teleologische Theorien:(a) von einem Telos aus, b) im Blick auf Handlungsfolgen. Vgl. Utilitarismus, Hedonismus. Unterscheidung von reinen Formen und Mischformen. 2. Weitere Begriffsklärungen: Moralität: Freiheit, Freiwilligkeit, Zurechnungsfähigkeit, Verantwortlichkeit. Reichweite: Geltungsbereiche, zeitlich/räumlich: zwischenmenschlich, Gruppen (Familie, Schulklasse), Region, Gesellschaft, Kultur, Welt. Normen: Begriff für Verhaltensvorschriften unterschiedlicher Verbindlichkeit und Sanktion. Problembereiche: Moral und Politik, Moral und Ökonomie, Moral und Recht (Geltendmachung von Normen, Erzwingbarkeit): moralische Wertediskusion kann zu neuem Recht führen (vgl. Grundgesetzänderung zur Gleichberechtigung und zum Naturschutz). Gesellschaftliches Kommuniqué: Humanität, Rationalität, Demokratie, Menschenwürde. (als historische moralische Errungenschaften). Problem des gerechten Handelns in ungerechter Welt (individuelle Gerechtigkeit, Rechtschaffenheit, soziale Ungerechtigkeit). Moralische Erziehung: ist je nach Auffassung von Moral unterschiedlich: a) Verpflichtung auf Gebote/Verbote, Frage nach Gehorsam, Gehorsamsforderung. Konflikt zwischen liberalem Lehrer und normativen Eltern, Kollegen, Schulleitung etc. Repressive Erziehung vs. Selbstbestimmung. b) Anregung zum moralischen Argumentieren, Stufen des moralischen Bewusstseins, Förderung der nächsthöheren Stufe, soziale Lernziele. Heteronomie/Autonomie, Mündigkeit. c) Empfehlung von selbstgewählten Haltungen, Förderung des Selbstanspruchs, Vorbild sein, Vorbilder (Literatur). Entsprechend unterschiedlich sind die Formen von Gewissensbildung. Notiz Das Ärgernis an der Moral und ihrer Philosophie (Gebots-, Gesetzesmentalität, Legalismus) kann schwinden, indem man den Blick wieder weitet: hinter Kant (Pflicht und Schuldigkeit) zurück bis Aristoteles, bei dem es um gutes Leben geht (Lust zu leben, Mensch zu sein). Praktische Philosophie bei Aristoteles: Politik Ökonomie/Hauswirtschaft persönliche Lebensführung Freude an persönlicher Lebensführung führt aus der Enge des Moralistischen und Moralisierens hinaus. Zum Gewissensbegriff Gewissen: das moralische Selbstverhältnis. Selbstverhältnis bezüglich der Frage nach der Qualität/Güte einer Handlung. Herkunft: aus Erziehung und Sozialisation. Von Heteronomie zu Autonomie; statt Autonomie auch: Kommunikation und Selbstbestimmung. Zwei traditionelle Gewissensbegriffe: 1. syneidesis (synderesis): die Gerichtetheit auf das Gute, 2. conscientia: das gute, richtige Tun. 1: die gute Gesinnung, 2: die gute, richtige Handlung. Ermittlung des Handlungsverbindlichen: In Kohlbergs Theorie: Gerechtigkeit als syneidesis, Stufen des moralischen Urteils als conscientia. Zur Werteargumentation: gemeinsame Ermittlung von Normen als conscientia. Maximen als Syneidesis. Zu Heinsohn: Notwendigkeit des göttlichen Gebotes? Tötungsverbot/Lebensgebot als syneidesis oder conscientia? Richard Rorty: Kommunistisches Manifest und Bibel als Hilfen zur Ermittlung des Handlungsverbindlichen: